
Zur großen Freude aller konnte unser Seminar vom 28.-30. August 2020 trotz Corona in Präsenz in der Theodor-Heuss-Akademie stattfinden und war mit 17 Teilnehmer*innen ausgebucht! Organisiert wurde es von Niklas H. und Emily Ewers. Die Idee für das Thema der sexuellen Aufklärung in deutschen Schulen mit dem Schwerpunkt LGBTQ ist beim Strukturtreffen im August 2019 entstanden. Unser Ziel war es, die Thematik möglichst vielseitig zu betrachten, sodass wir Input aus der Wissenschaft und Politik hatten und zudem eine Lehrkraft und jemanden aus dem Aufklärungsprojekt SCHLAU einluden. In allen Vorträgen waren unterschiedliche Studien zur Aufklärung und/oder zu LGBTQ Jugendlichen eingebunden, was diesem doch sehr persönlichen Thema einen sachlichen Rahmen verlieh.
Am Freitagabend hatten wir nach einer kurzen Begrüßung Dr. Jens Brandenburg, MdB und LSBTI-Sprecher der FDP, per Zoom zu Gast und konnten durch ihn Einblicke in die liberale politische Wahrnehmung und Zielsetzung zur Verbesserung der Aufklärung erhalten. Dazu hatte er eine Liste an Thesen vorbereitet, zu denen unter anderem zählte, dass die Lehrpläne so geändert werden sollen, dass es sich nicht mehr um ein reines Biologiethema handele und beispielsweise auch klassen- oder jahresübergreifend möglich sei. Weiter solle der Unterricht sich nicht auf körperliche und gesundheitlichen Fragen beschränken. Ein wichtiger Punkt war, dass Lehrkräfte im Studium mehr mit dem Thema konfrontiert werden sollen, um die Ausbildung in dem Gebiet zu stärken.
Der Hauptseminartag startete mit einem Vortrag von Aische Westermann, die das Antidiskriminierungs- und Aufklärungsprojekt SCHLAU NRW vorstellte. Sie arbeitete fünf Jahre ehrenamtlich als Teamerin für Workshops in Schulen. Seit 2017 ist sie bei SCHLAU Education tätig, was die Sparte für Bildung von Erwachsenen ist. Frau Westermann stellte erst einige Studien zur aktuellen Situation von queeren Jugendlichen vor und anschließend das Projekt selbst.

Die Workshops von SCHLAU finden im Klassenverband in Abwesenheit der Lehrkräfte statt mit dem Ziel, eine Art „Safe Space“ zu schaffen, in dem Benotung und die anderen Schulsachen keine Rolle spielen. Die Ziele von SCHLAU sind Sichtbarkeit, Sensibilisierung, Dialog und Aufklärung. Es wird auf didaktische Methoden aus der Antidiskriminierungs- und Menschenrechtsarbeit, Niederschwelligkeit, Biographiearbeit und Bildungsarbeit auf Augenhöhe gesetzt. Die meisten der Teamer*innen identifizieren sich selbst als Teil der LGBTQ-Community.
Im Anschluss konnten wir selbst eine Methode ausprobieren, die so auch in den Workshops verwendet wird. Wir sollten uns vorstellen, etwa 15 Jahre alt und frisch verliebt mit jemandem zusammen zu sein. Alle Personen bekamen eine farbige Karte, die kennzeichnete, ob die Person, mit der man in dem Gedankenspiel zusammen war, des eigenen oder des anderen Geschlechts oder eine Trans-Person ist. Wir bekamen Ja-Nein-Fragen gestellt wie „Könnt ihr problemlos Händchen haltend über den Schulhof laufen?“ oder „Kannst du dir vorstellen, die andere Person deiner erweiterten Familie vorzustellen?“ Wir mussten feststellen, dass es für gleichgeschlechtliche Paare längst noch nicht die gleiche Situation ist wie für gemischtgeschlechtliche Paare. Noch schwieriger schien die Situation für Trans-Personen zu sein.
Bevor es mit einem Frontralvortrag weitergehen sollte, gab es noch einen Workshop-Slot. In Kleingruppen sollten mit Hilfe der bereits gehörten Vorträge und Text- und Videoquellen Konzepte zur Aufklärung in der Schule erarbeitet werden. Die zentralen Fragen dazu waren, was die inhaltliche Schwerpunktsetzung sein soll, wer zuständig ist, in welchem Rahmen die Aufklärung stattfinden soll und die Frage nach dem Umgang mit Pornographie. Letzteres stellte unter den Teilnehmer*innen ein kontrovers diskutiertes Thema dar. Die Ergebnisse der Ausarbeitung wurden am letzten Tag vorgestellt und besprochen.

Nachmittags lernten wir durch Estelle Leray die Perspektive einer queeren Lehrkraft kennen. Sie ist an ihrer Schule Gleichstellungsbeauftragte und durch ihren offenen Umgang mit LGBTQ Themen auch oftmals Ansprechpartnerin für solche. So ist sie gleichzeitig ein Vorbild und sorgt für Sichtbarkeit. Lehrkräfte beeinflussen die Situation von LGBTQ Jugendlichen maßgeblich und viele Lehrkräfte sind wie Jens Brandenburg der Meinung, dass Sexualaufklärung im Lehramtsstudium in der Universität nicht ausreichend behandelt wird – wenn dem überhaupt so ist. Als Handlungsmöglichkeiten für Lehrkräfte nannte Frau Leray unter anderem, bei Redebedarf Ansprechpartner*in zu sein, Material der Vielfalt in den Unterricht einzubinden, Gruppen nicht nach Geschlecht aufzuteilen, zu gendern und nicht die Heterosexualität der Schüler*innen anzunehmen. Außerdem sei die Sensibilisierung der Kollegiums dringend nötig und die Schulbuchverlage sollen den Anforderungen des Schulgesetztes und den Richtlinien folgen und die Schulbücher anpassen.

Die Problematik der Schulbücher wurde im Vortrag von Prof. Dr. Markus Hoffmann am Sonntagmorgen nochmal besonders deutlich. Einer seine Forschungsschwerpunkte ist die schulische Sexualerziehung. Durch ihn bekamen wir einen detailreichen Einblick in den Forschungsstand zu Sexualaufklärung in Schulen. Wir stellten fest, dass es landesweit große Unterschiede zwischen den Bundesländern gibt, beispielsweise hinsichtlich der Richtlinien zu Sexualerziehung, der Schwerpunktsetzung und der Zulassung verschiedener Schulbücher. Insgesamt sei eine Retraditionalisierung und ein Einzug von Scham wiederzufinden. Klagen gegen Sexualerziehung in Schulen würden nicht stattgegeben, da Jugendliche ein Recht auf unabhängige sexuelle Aufklärung haben.

Besonders schön am gesamten Seminar waren die regen Diskussionen. Denn es waren sich zwar alle einig, dass sich in der schulischen Sexualerziehung etwas ändern muss, doch wie? Bei der Antwort gingen die Meinungen auseinander und ich bin mir sicher, dass wir alle unseren Horizont erweitern konnten und neue Denkanstöße bekommen haben!
Vielen lieben Dank an alle motivierten Teilnehmer*innen für so ein tolles Seminar!
Emily und die gesamte IQF 🙂